Über die richtige Antwort wird in der Geschichtsphilosophie seit jeher gestritten. Nur so viel in Kürze – es gibt drei verschiedene Auffassungen: Erstens, die Kreislauftheorie, wonach sich die Geschichte wiederholt und im Wesentlichen immer wieder von vorn beginnt, etwa als Wiederkehr des ewig Gleichen ohne Anfang und Ende. Zweitens, die linear aufsteigende Fortschrittstheorie, wonach die Geschichte zusammen mit technisch wissenschaftlichen Neuerungen auch auf immer höhere moralisch kulturelle Ebenen kommt und auf ein positives Endziel zusteuert.
Und drittens, die linear absteigende Entfremdungstheorie, wonach sich die Menschheit genau umgekehrt mit jedem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt immer weiter von ihrer ursprünglichen Natur entfremdet und moralisch verkommt. Die drei Theorien besagen in Kurzform: Die Welt dreht sich im Kreis und bleibt wie sie ist, die Welt wird immer besser oder die Welt wird immer schlechter.
Die Kreislauftheorie wird erstmals vom antiken Strategen und Historiker Thukydides vertreten. Er berichtet detailliert über Motive, Ursachen und Verlauf des Peloponnesischen Krieges von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. zwischen Sparta und dem aufsteigenden Athen. Dabei analysiert er den Auslöser, die Ursachen, den Verlauf des Krieges und kommt zu dem Ergebnis, dass es letztlich darum ging, dass Sparta seine Vormachtstellung in Griechenland nicht an das immer mächtiger werdende Athen abgeben wollte.
Solche kriegerischen Konflikte um die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung sind, so Thukydides, in der Geschichte kein Einzelfall, sondern werden sich aufgrund der Beschaffenheit der menschlichen Natur auch in Zukunft ereignen. Die Kreislauftheorie, wonach sich Kriege um Macht und Einfluss fortwährend wiederholen, scheint leider bis heute aktuell zu sein.
So warnt beispielsweise der Politologe Graham Allison in den 2010er Jahren vor der sogenannten «Thukydides-Falle», wonach Staaten im Kampf um den Erhalt ihres Machbereichs nach wie vor die Strategie der Spartaner verfolgen, aufsteigende Mächte gewaltsam niederzuhalten und am Ende alles zerstören. So sieht Allison unter anderem die Gefahr, dass die USA als etablierte Weltmacht, das zunehmend mächtiger werdende China bekämpfen könnten, was wiederum fatale Folgen für alle hätte. Auch der Philosoph Schopenhauer sieht in der Geschichte keinerlei Fortschritt:
«Versucht man die Gesamtheit der Menschenwelt in einem Blick zusammenzufassen, so erblickt man überall einen rastlosen Kampf, ein gewaltiges Ringen, mit Anstrengung aller Körper- und Geisteskräfte, um Leben und Dasein. Im Allgemeinen haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt; und die Toren, d.h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.»
Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860)
Stimmt also die Kreislauftheorie? Drehen wir uns tatsächlich immer nur im Kreis? Nein, sagt der berühmte deutsche Geschichtsphilosoph Hegel:
Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)
Es geht letztlich um die notwendige Entfaltung der Freiheit. Das wachsende Bewusstsein der Freiheit zieht sich, so Hegel, wie ein roter Faden durch die Weltgeschichte. Es hatte in den frühen orientalischen Hochkulturen seinen Ausgangspunkt:
«Die Orientalen wissen es noch nicht, dass der Geist oder der Mensch als solcher an sich frei ist; weil sie es nicht wissen, sind sie es nicht; sie wissen nur, dass Einer frei ist.»
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)
Bei den Orientalen war, so Hegel, nur ein einziger frei, der Herrscher, und dieser war in der Regel ein Diktator. Erst bei den Griechen keimt, so Hegel, der Wunsch nach wirklicher Freiheit auf:
«In den Griechen ist erst das Bewusstsein der Freiheit aufgegangen, und darum sind sie frei gewesen; aber sie, wie auch die Römer, wussten nur, dass einige frei sind, nicht der Mensch als solcher. Das wussten selbst Platon und Aristoteles nicht.»
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)
So waren in den griechischen Stadtstaaten zwar die Bürger frei und durften die Regierung wählen, doch gab es gleichzeitig eine grosse Zahl von rechtlosen Sklaven. Deshalb waren, wie Hegel sagt, nur «einige» frei. Erst die modernen nordeuropäischen Nationen kamen dann – nach jahrhundertelangen Kriegen und Kämpfen – im Christentum endlich zu dem fortschrittlichen Bewusstsein, dass …
«… die Freiheit des Geistes seine eigenste Natur ausmacht.»
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)
Am Ende der Geschichte, so Hegels grosse Vision, werden wir uns als Menschen weltweit gegenseitig anerkennen, als ein «wir, das ich ist und ein ich, das wir ist». Zugleich erkennen die Menschen am Ende der Geschichte, dass Gott, den sie zunächst als fremde Macht empfunden und angebetet haben, in Wirklichkeit nichts anderes ist, als das in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit sich entfaltende eigene Bewusstsein. Sie erfahren nun, dass Gott, Mensch und Geschichte nur drei verschiedene Perspektiven derselben Entwicklung sind und schon immer waren.
Marx, ein Schüler von Hegel, war ebenfalls Dialektiker, hat aber wie er selbst sagt, Hegel «vom Kopf auf die Füsse» gestellt. Nicht das jeweilige Wissen um die Entfaltung der Freiheit treibt die geschichtliche Entwicklung voran, sondern die materiellen Produktionsverhältnisse. Jede gesellschaftliche Entwicklungsstufe erzeugt eine neue unterdrückte soziale Klasse, die zu der vorherrschenden Klasse in einen ökonomischen und sozialen Widerspruch kommt:
«Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.»
Karl Marx(1818 bis 1883)
Der Konflikt zwischen den jeweils gegensätzlichen Klassen ist der Motor der Geschichte:
«Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete.»
Karl Marx(1818 bis 1883)
In einer langen Reihe von Klassenkämpfen treibt sich schliesslich die Geschichte auf ihr Endziel zu, auf eine kommunistische Gesellschaft, in der die Produktionsmittel allen gehören, in der es keine Klassen und somit auch keine weiteren Klassenkämpfe mehr gibt.
Deutsche Denker wie Adorno und Horkheimer, die nach dem Krieg aus Amerika in das zerstörte Europa zurückkehrten, glaubten nicht mehr an die grosse Vision einer klassenlosen Gesellschaft. Im Gegenteil – ihre Diagnose war pessimistisch. Die ganze historische Entwicklung Europas und der Menschheit sei generell kein gesellschaftlicher Fortschritt, sondern umgekehrt eine Einbahnstrasse in den Abgrund:
«Keine Universalgeschichte führt vom Wilden zur Humanität, sehr wohl eine von der Steinschleuder zur Megabombe. Sie endet mit der totalen Drohung der organisierten Menschheit gegen die organisierten Menschen.»
Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)
Insbesondere die Epoche der Aufklärung hatte, so Adorno, fatale Folgen:
«Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.»
Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)
Zwar hätten Aufklärer wie Kant, Locke, Hume, Rousseau, Montesquieu das fortschrittliche Ziel verfolgt, den Menschen die Furcht zu nehmen, vor der Natur, vor wilden Tieren, vor Missernten, vor dem Aberglauben, dem Jüngsten Gericht, der Apokalypse, dem Teufel und anderen irrationalen Vorstellungen. Die Aufklärung wollte alles erhellen und das rationale Licht der Wissenschaft an die Stelle des irrationalen Glaubens setzen. Doch am Ende, so Adorno, schlug das gut gemeinte Vorhaben der Befreiung in sein Gegenteil um.
Heute haben die Bauern zwar dank der Aufklärung und dank der Wissenschaft keine Angst mehr vor dem Donnergott und bringen diesem auch keine rituellen Opfer mehr dar, um die Ernte zu schützen, aber sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt. Die Natur wird, so Adorno, im aufgeklärten Zeitalter nicht mehr als übermächtig und bedrohlich empfunden, sondern durch hochmoderne Erntemaschinen, Fungizide, Pestizide und Massentierhaltungen komplett beherrscht und kontrolliert. Doch die die totale Kontrolle über die Natur mit ihren Monokulturen, ihrem Raubbau an fossilen Rohstoffen hat ihren Preis:
«Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben.»
Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)
Der französische Denker Michel Foucault sieht das Ende der Geschichte ebenfalls pessimistisch. Er entwirft das heute viel diskutierte Bild des totalen Überwachungsstaates, auf das der geschichtliche Prozess unaufhaltsam zusteuert. Es gibt, so Foucault, immer neue «Dispositive». Das sind ideologisch funktionale Setzungen, die im Interesse einer bestimmten Form der Machtausübung, eherne gesellschaftliche Strukturen erzeugen, die keine Höherentwicklung mit sich bringen, sondern umgekehrt eine fatale Einschränkung der individuellen Entfaltung bis hin zur massenhaften Selbstversklavung und Beraubung unserer Freiheit.
Im Gegensatz zu vorangegangenen Epochen steht der moderne Mensch, so Foucault, von der Geburtsurkunde, über die Schulzeugnisse, die Berufsabschlüsse, Wohnsitzmeldungen, den Führerschein, Steuerzahlungen, den Impfpass, bis hin zur Sterbeurkunde unter dem ständigen, alles sehenden panoptischen Blick des Staates und seiner institutionellen Überwachung:
«Wir sind eingeschlossen in das Räderwerk der panoptischen Maschine, das wir selbst in Gang halten – jeder ein Rädchen.»
Michel Foucault (1926 bis 1984)
Und am Ende sind wir unsere eigenen Gefängnisdirektoren und überwachen uns selbst, dass wir nichts tun oder denken, was nicht den allgemeinen Dispositiven entspricht. Foucault warnt hinsichtlich unserer zukünftigen Entwicklung vor dem Untergang jeder individuellen Freiheit. Er spricht sogar vom «Ende des Menschen» bzw. der Selbstauflösung des Individuums in den Zwängen der Massengesellschaft:
«Der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.»
Michel Foucault (1926 bis 1984)
Das Ende der Geschichte wird in der Philosophie also sehr unterschiedlich gesehen. Bei Schopenhauer und Nietzsche bleibt letztlich alles, wie es ist. Bei Denkern wie Rousseau, Adorno und Foucault gibt es eine lineare Abwärts-, bei Hegel, Marx und Habermas eine lineare Aufwärtsbewegung. Letztere sehen die Chance auf eine fortwährende Entfaltung der Vernunft, die uns immer weiter verbindet und am Ende zur Weltgesellschaft führt.
Der amerikanische Philosoph und Pragmatiker William James empfiehlt uns eindringlich, auf ein gutes Ende zu setzen. Obwohl es, so James, nicht absehbar ist, ob wir jemals in der Lage sein werden, alle Probleme dieser Welt zu lösen, sollte sich dennoch jeder vernünftige Mensch so verhalten, als ob er sich dessen sicher wäre. Und wenn es dann nicht so kommen sollte, dann waren wir, so James, zumindest optimistisch. An ein gutes Ende der Geschichte zu glauben, ist inzwischen mehr als nur ein spielerischer Zweckoptimismus. Angesichts wachsender Konflikte und globaler Bedrohungen wird es zur Pflicht, hartnäckig an dem Vorsatz festhalten, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.