Techniken des systemischen Fragens

Das systemische Fragen hat seinen Ursprung im systemischen Denken, welches besagt, dass alles in einem System miteinander verbunden ist. Wenn man eine Sache verändert, hat dies Auswirkungen auf andere Teile des Systems. Das Erkennen dieser Vernetzung ist fundamental, um die wahren Ursachen von Problemen zu identifizieren und nicht nur symptomatisch zu arbeiten. 

Ganzheitlicher Ansatz: Das systemische Denken betrachtet Probleme und Lösungen aus einer ganzheitlichen Perspektive. Anstatt sich nur auf einen Aspekt eines Problems zu konzentrieren, berücksichtigt es die vielfältigen Beziehungen, Wechselwirkungen und Rückkopplungsschleifen, die innerhalb eines Systems existieren. Ein Problem, das in einem Bereich eines Systems auftritt, kann Auswirkungen auf andere Teile dieses Systems haben und umgekehrt. 

 

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Gibt es ein Ende der Geschichte ?

Über die richtige Antwort wird in der Geschichtsphilosophie seit jeher gestritten. Nur so viel in Kürze – es gibt drei verschiedene Auffassungen: Erstens, die Kreislauftheorie, wonach sich die Geschichte wiederholt und im Wesentlichen immer wieder von vorn beginnt, etwa als Wiederkehr des ewig Gleichen ohne Anfang und Ende. Zweitens, die linear aufsteigende Fortschrittstheorie, wonach die Geschichte zusammen mit technisch wissenschaftlichen Neuerungen auch auf immer höhere moralisch kulturelle Ebenen kommt und auf ein positives Endziel zusteuert.

Und drittens, die linear absteigende Entfremdungstheorie, wonach sich die Menschheit genau umgekehrt mit jedem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt immer weiter von ihrer ursprünglichen Natur entfremdet und moralisch verkommt. Die drei Theorien besagen in Kurzform: Die Welt dreht sich im Kreis und bleibt wie sie ist, die Welt wird immer besser oder die Welt wird immer schlechter.

Die Kreislauftheorie wird erstmals vom antiken Strategen und Historiker Thukydides vertreten. Er berichtet detailliert über Motive, Ursachen und Verlauf des Peloponnesischen Krieges von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. zwischen Sparta und dem aufsteigenden Athen. Dabei analysiert er den Auslöser, die Ursachen, den Verlauf des Krieges und kommt zu dem Ergebnis, dass es letztlich darum ging, dass Sparta seine Vormachtstellung in Griechenland nicht an das immer mächtiger werdende Athen abgeben wollte.

Solche kriegerischen Konflikte um die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung sind, so Thukydides, in der Geschichte kein Einzelfall, sondern werden sich aufgrund der Beschaffenheit der menschlichen Natur auch in Zukunft ereignen. Die Kreislauftheorie, wonach sich Kriege um Macht und Einfluss fortwährend wiederholen, scheint leider bis heute aktuell zu sein.

So warnt beispielsweise der Politologe Graham Allison in den 2010er Jahren vor der sogenannten «Thukydides-Falle», wonach Staaten im Kampf um den Erhalt ihres Machbereichs nach wie vor die Strategie der Spartaner verfolgen, aufsteigende Mächte gewaltsam niederzuhalten und am Ende alles zerstören. So sieht Allison unter anderem die Gefahr, dass die USA als etablierte Weltmacht, das zunehmend mächtiger werdende China bekämpfen könnten, was wiederum fatale Folgen für alle hätte. Auch der Philosoph Schopenhauer sieht in der Geschichte keinerlei Fortschritt:

«Versucht man die Gesamtheit der Menschenwelt in einem Blick zusammenzufassen, so erblickt man überall einen rastlosen Kampf, ein gewaltiges Ringen, mit Anstrengung aller Körper- und Geisteskräfte, um Leben und Dasein. Im Allgemeinen haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt; und die Toren, d.h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.»

Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860)

Stimmt also die Kreislauftheorie? Drehen wir uns tatsächlich immer nur im Kreis? Nein, sagt der berühmte deutsche Geschichtsphilosoph Hegel:

Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)

Es geht letztlich um die notwendige Entfaltung der Freiheit. Das wachsende Bewusstsein der Freiheit zieht sich, so Hegel, wie ein roter Faden durch die Weltgeschichte. Es hatte in den frühen orientalischen Hochkulturen seinen Ausgangspunkt:

«Die Orientalen wissen es noch nicht, dass der Geist oder der Mensch als solcher an sich frei ist; weil sie es nicht wissen, sind sie es nicht; sie wissen nur, dass Einer frei ist.»

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)

Bei den Orientalen war, so Hegel, nur ein einziger frei, der Herrscher, und dieser war in der Regel ein Diktator. Erst bei den Griechen keimt, so Hegel, der Wunsch nach wirklicher Freiheit auf:

«In den Griechen ist erst das Bewusstsein der Freiheit aufgegangen, und darum sind sie frei gewesen; aber sie, wie auch die Römer, wussten nur, dass einige frei sind, nicht der Mensch als solcher. Das wussten selbst Platon und Aristoteles nicht.»

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)

So waren in den griechischen Stadtstaaten zwar die Bürger frei und durften die Regierung wählen, doch gab es gleichzeitig eine grosse Zahl von rechtlosen Sklaven. Deshalb waren, wie Hegel sagt, nur «einige» frei. Erst die modernen nordeuropäischen Nationen kamen dann – nach jahrhundertelangen Kriegen und Kämpfen – im Christentum endlich zu dem fortschrittlichen Bewusstsein, dass …

«… die Freiheit des Geistes seine eigenste Natur ausmacht.»

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1881)

Am Ende der Geschichte, so Hegels grosse Vision, werden wir uns als Menschen weltweit gegenseitig anerkennen, als ein «wir, das ich ist und ein ich, das wir ist». Zugleich erkennen die Menschen am Ende der Geschichte, dass Gott, den sie zunächst als fremde Macht empfunden und angebetet haben, in Wirklichkeit nichts anderes ist, als das in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit sich entfaltende eigene Bewusstsein. Sie erfahren nun, dass Gott, Mensch und Geschichte nur drei verschiedene Perspektiven derselben Entwicklung sind und schon immer waren.

Marx, ein Schüler von Hegel, war ebenfalls Dialektiker, hat aber wie er selbst sagt, Hegel «vom Kopf auf die Füsse» gestellt. Nicht das jeweilige Wissen um die Entfaltung der Freiheit treibt die geschichtliche Entwicklung voran, sondern die materiellen Produktionsverhältnisse. Jede gesellschaftliche Entwicklungsstufe erzeugt eine neue unterdrückte soziale Klasse, die zu der vorherrschenden Klasse in einen ökonomischen und sozialen Widerspruch kommt:

«Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.»

Karl Marx(1818 bis 1883)

Der Konflikt zwischen den jeweils gegensätzlichen Klassen ist der Motor der Geschichte:

«Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete.»

Karl Marx(1818 bis 1883)

In einer langen Reihe von Klassenkämpfen treibt sich schliesslich die Geschichte auf ihr Endziel zu, auf eine kommunistische Gesellschaft, in der die Produktionsmittel allen gehören, in der es keine Klassen und somit auch keine weiteren Klassenkämpfe mehr gibt.

Deutsche Denker wie Adorno und Horkheimer, die nach dem Krieg aus Amerika in das zerstörte Europa zurückkehrten, glaubten nicht mehr an die grosse Vision einer klassenlosen Gesellschaft. Im Gegenteil – ihre Diagnose war pessimistisch. Die ganze historische Entwicklung Europas und der Menschheit sei generell kein gesellschaftlicher Fortschritt, sondern umgekehrt eine Einbahnstrasse in den Abgrund: 

«Keine Universalgeschichte führt vom Wilden zur Humanität, sehr wohl eine von der Steinschleuder zur Megabombe. Sie endet mit der totalen Drohung der organisierten Menschheit gegen die organisierten Menschen.»

Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)

Insbesondere die Epoche der Aufklärung hatte, so Adorno, fatale Folgen:

«Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.»

Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)

Zwar hätten Aufklärer wie Kant, Locke, Hume, Rousseau, Montesquieu das fortschrittliche Ziel verfolgt, den Menschen die Furcht zu nehmen, vor der Natur, vor wilden Tieren, vor Missernten, vor dem Aberglauben, dem Jüngsten Gericht, der Apokalypse, dem Teufel und anderen irrationalen Vorstellungen. Die Aufklärung wollte alles erhellen und das rationale Licht der Wissenschaft an die Stelle des irrationalen Glaubens setzen. Doch am Ende, so Adorno, schlug das gut gemeinte Vorhaben der Befreiung in sein Gegenteil um.

Heute haben die Bauern zwar dank der Aufklärung und dank der Wissenschaft keine Angst mehr vor dem Donnergott und bringen diesem auch keine rituellen Opfer mehr dar, um die Ernte zu schützen, aber sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt. Die Natur wird, so Adorno, im aufgeklärten Zeitalter nicht mehr als übermächtig und bedrohlich empfunden, sondern durch hochmoderne Erntemaschinen, Fungizide, Pestizide und Massentierhaltungen komplett beherrscht und kontrolliert. Doch die die totale Kontrolle über die Natur mit ihren Monokulturen, ihrem Raubbau an fossilen Rohstoffen hat ihren Preis:

«Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben.»

Theodor W. Adorno (1903 bis 1969)

Der französische Denker Michel Foucault sieht das Ende der Geschichte ebenfalls pessimistisch. Er entwirft das heute viel diskutierte Bild des totalen Überwachungsstaates, auf das der geschichtliche Prozess unaufhaltsam zusteuert. Es gibt, so Foucault, immer neue «Dispositive». Das sind ideologisch funktionale Setzungen, die im Interesse einer bestimmten Form der Machtausübung, eherne gesellschaftliche Strukturen erzeugen, die keine Höherentwicklung mit sich bringen, sondern umgekehrt eine fatale Einschränkung der individuellen Entfaltung bis hin zur massenhaften Selbstversklavung und Beraubung unserer Freiheit.

Im Gegensatz zu vorangegangenen Epochen steht der moderne Mensch, so Foucault, von der Geburtsurkunde, über die Schulzeugnisse, die Berufsabschlüsse, Wohnsitzmeldungen, den Führerschein, Steuerzahlungen, den Impfpass, bis hin zur Sterbeurkunde unter dem ständigen, alles sehenden panoptischen Blick des Staates und seiner institutionellen Überwachung:

«Wir sind eingeschlossen in das Räderwerk der panoptischen Maschine, das wir selbst in Gang halten – jeder ein Rädchen.»

Michel Foucault (1926 bis 1984)

Und am Ende sind wir unsere eigenen Gefängnisdirektoren und überwachen uns selbst, dass wir nichts tun oder denken, was nicht den allgemeinen Dispositiven entspricht. Foucault warnt hinsichtlich unserer zukünftigen Entwicklung vor dem Untergang jeder individuellen Freiheit. Er spricht sogar vom «Ende des Menschen» bzw. der Selbstauflösung des Individuums in den Zwängen der Massengesellschaft:

«Der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.»

Michel Foucault (1926 bis 1984)

Das Ende der Geschichte wird in der Philosophie also sehr unterschiedlich gesehen. Bei Schopenhauer und Nietzsche bleibt letztlich alles, wie es ist. Bei Denkern wie Rousseau, Adorno und Foucault gibt es eine lineare Abwärts-, bei Hegel, Marx und Habermas eine lineare Aufwärtsbewegung. Letztere sehen die Chance auf eine fortwährende Entfaltung der Vernunft, die uns immer weiter verbindet und am Ende zur Weltgesellschaft führt.

Der amerikanische Philosoph und Pragmatiker William James empfiehlt uns eindringlich, auf ein gutes Ende zu setzen. Obwohl es, so James, nicht absehbar ist, ob wir jemals in der Lage sein werden, alle Probleme dieser Welt zu lösen, sollte sich dennoch jeder vernünftige Mensch so verhalten, als ob er sich dessen sicher wäre. Und wenn es dann nicht so kommen sollte, dann waren wir, so James, zumindest optimistisch. An ein gutes Ende der Geschichte zu glauben, ist inzwischen mehr als nur ein spielerischer Zweckoptimismus. Angesichts wachsender Konflikte und globaler Bedrohungen wird es zur Pflicht, hartnäckig an dem Vorsatz festhalten, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.

 

Jean-Jacques Rousseau

Der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau war einer der wichtigsten Vertreter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Seine modernen Gedanken und Kritik am autoritären Staat legten wichtige Grundsteine für die Französische Revolution . Denn Rousseau war kein Befürworter der Monarchie. Wie viele andere Vertreter der Aufklärung unterstützte er die Staatsform der Republik.

Er betonte ebenso die Bedeutung des freien Willens eines Individuums. Dadurch hatte er einen starken Einfluss auf die existenzielle Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. In seinem berühmtesten Buch „Émile“ präsentierte Rousseau seine Erziehungstheorien. Die führten zur Entwicklung von weniger strengen und am Wohlbefinden des Kindes orientierten Erziehungsmethoden.

Kindheit

Jean-Jacques Rousseau wurde im Jahr 1712 in Genf geboren. Er stammte aus einer calvinistischen Familie, die aufgrund ihres Glaubens im schweizerischen Exil leben musste. Tragischerweise starb seine Mutter kurz nach seiner Geburt. Der kleine Jean-Jacques lebte deshalb bei seinem Vater und bei seinem Onkel. Jean-Jacques war ein äußerst neugieriges und wissbegieriges Kind. Er lernte zum Beispiel schon mit zweieinhalb Jahren das Lesen. Seine Leidenschaft für Bücher zog sich durch seine gesamte Kindheit und Jugend, bis er sogar selbst zum Schriftsteller wurde. Als Rousseau zehn Jahre alt war, schickte sein Onkel ihn zu einem calvinistischen Pfarrer. Der wohnte in einer ländlichen und idyllischen Gemeinde, wo Rousseau seine Liebe zur Natur entdeckte. Der Pfarrer war unglaublich streng mit Jean-Jacques und den anderen Kindern. Er misshandelte ihn zu erzieherischen Zwecken sogar auch körperlich. In dieser Zeit entwickelte Jean-Jacques ein starkes Empfinden für Ungerechtigkeit und große Abneigung gegen die Autorität des Pfarrers.

Das zeigte sich auch in Rousseaus späterem Werk „Émile“, in dem er sich für eine tolerante Art der Kindererziehung einsetzte. Schließlich ging Rousseau wieder nach Genf zurück, um den Leiden zu entkommen.

Rousseau und die Aufklärung

Rousseaus Werke

1762 erschienen die beiden Meisterwerke „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des politischen Rechtes“ und sein einflussreichstes Werk „Émile oder über die Erziehung“. Kurz nach der Veröffentlichung wurden beide Bücher geächtet. Kinder werden in „Émile“ erstmals als eigene Individuen beschrieben. Man solle sie nicht wie Erwachsene behandeln, sondern Zeit und Raum für die kindliche Entwicklung lassen.

Diese Art der Kindererziehung, die in „Émile“ dargestellt wurde, widersprach den damaligen kirchlich-bürgerlichen Sitten komplett. Ebenso stellte sich Rousseaus Gesellschaftsvertrag gegen die Kirche und die Aristokratie. Denn das Buch lässt sich als Grundlagentext der Demokratie verstehen. Rousseau forderte Gleichberechtigung und Freiheit eines jeden Bürgers. Der Staat sollte ein Vertrag sein, den freie Bürger aus freiem Willen schließen.

Rousseaus Schriften wurden sowohl von Protestanten als auch von Katholiken abgelehnt. Tausende Exemplare seiner Texte wurden verbrannt. Kurz darauf erließ das französische Parlament sogar einen Haftbefehl gegen den Autor. Rousseau floh deshalb sofort in die Schweiz.

Im Jahr 1770 vollendete Jean-Jacques Rousseau seine Autobiografie „Confessiones“ – auf Deutsch „Bekenntnisse“. In ihr stellte er sein Leben von seiner Kindheit bis ins Alter vollständig dar. Sämtliche Gedanken und Ideen eines freien, demokratischen Staates, Erziehungstheorien und Handlungsmotive offenbarte er so der ganzen Welt. Er versuchte sich dadurch auch zu rechtfertigen, in einer Zeit, in der niemand ihn verstehen wollte. Vielleicht waren seine Gedanken zu modern.

Rousseau — Häufigste Fragen

  • Für was ist Rousseau bekannt?
    Der Philosoph und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau wurde 1712 in Genf geboren und starb 1778 in Paris. Er galt als einer der wichtigsten Vertreter der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Rousseau sprach sich für die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen aus.

  • Welches Menschenbild hat Rousseau?
    Rousseau glaubte, dass alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind. Damit erfüllte er ein grundlegendes Kriterium des aufklärerischen Denkens: Der Mensch entwickelt sich für ihn von einer abhängigen, unmündigen Person zu einem freien, mündigen Bürger. So sollte der Gesellschaftsvertrag verwirklicht werden.

 

Emanuel Kant: Was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch?

Aufklärung:

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was kann ich hoffen?

Was ist der Mensch?

Immanuel Kant war ein deutscher Philosoph des 18. Jahrhunderts, der einen Wendepunkt in der Philosophie schuf und die Epoche der Aufklärung prägte. Hier sind einige seiner Kernaussagen:

  1. Erkenntnistheorie: Kant lehrte, dass alle Erkenntnis an die Erfahrung gebunden ist. Er kann somit auch als Empiriker gelten, der Wissen einzig auf der Grundlage von messbaren Werten anerkennt. Erfahrung besteht nach Kant aus erfahrungsunabhängigen - er nennt dies apriorisch - Voraussetzungen, also auf Verstandesgesetzen.

  2. Vernunft und Autonomie: Kant rief dazu auf, Eigenverantwortung zu übernehmen, anstatt sich an Gottesvorschriften zu halten. Er betonte die Notwendigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

  3. Kategorischer Imperativ: Eine weitere Kernaussage der Erkenntnistheorie Kants ist, dass die Vernunft die Grundlage jeglichen menschlichen Handelns sein soll. Kant formulierte dies als: "Handle stets so, dass deine Grundsätze, gemeint sind Einstellungen, auch allgemeine Gesetze einer Gesellschaft werden können". Diese Forderung ist auch als der “Kategorische Imperativ” bekannt.

  4. Vier Fragen der Philosophie: In seinem Hauptwerk stellte Kant die vier wesentlichen Fragen der Philosophie:

“Was kann ich wissen?“ Die Frage “Was kann ich wissen?” beantwortet Kant mit der Metaphysik und der Erkenntnistheorie. Er argumentiert, dass wir die Dinge nicht so kennen können, wie sie sind, sondern nur so, wie sie uns durch unsere Sinne und unsere Verstandeskategorien erscheinen. Kant unterscheidet zwischen der Welt der Erscheinungen, die das Reich der empirischen Wissenschaft und der praktischen Vernunft ist, und der Welt des Denkbaren, die das Reich der Metaphysik und der reinen Vernunft ist. Er erklärt, wie wir auf der Grundlage unserer a priori Formen der Anschauung (Raum und Zeit) und unserer a priori Formen des Denkens (die Kategorien) Begriffe und Urteile bilden. Darüber hinaus diskutiert er die Rolle der Vernunftideen, wie Freiheit, Gott und Gerechtigkeit, die nicht durch Erfahrung bewiesen oder widerlegt werden können, aber unsere moralischen und existenziellen Entscheidungen beeinflussen. In Bezug auf das Wissen ist laut Kant "wenigstens so viel sicher und ausgemacht, dass uns dieses […] niemals zu Teil werden könne". Heute würden wir die Frage “Was kann ich wissen?” weniger der Metaphysik, als vielmehr der Erkenntnistheorie zuordnen, als Teil der theoretischen Philosophie. Tiefergehende Fragen wären hier: Was sind Wahrheit und Wirklichkeit? Ist sichere Erkenntnis überhaupt möglich?

Diese Aussagen haben die Philosophie maßgeblich geprägt und Kant zu einem der bedeutendsten Denker der Geschichte gemacht.

Link: Gedanken zu "Freier Wille eine Illusion?  Die Natur ist von vornherein nicht gut?"

 

Epikur - Atom, Evolution, Gesellschaftsvertrag, Carpe diem (Pflücke den Tag!) 4 Aussagen

Epikur wird um das Jahr 341 v. u. Z. auf der griechischen Insel Samos geboren.

Epikur war wie kaum ein anderer Gelehrter der Geschichte ein »Zeitgenosse der Zukunft« In seiner Philosophie finden wir bereits die Lehre vom atomaren Aufbau der Welt (Atomismus), vom Aufstieg und Untergang der Arten (Evolution) sowie von der Existenz vieler belebter Welten in einem unendlichen Universum. Epikur war überzeugt, dass Sinn aus Sinnlichkeit erwächst (Hedonismus) und dass der Tod absolute Empfindungslosigkeit bedeutet, weshalb sich niemand vor ihm fürchten müsse (Lehre von der Sterblichkeit der Seele). Zudem zeigte er auf, dass die Werte des Zusammenlebens unter den Menschen ausgehandelt werden müssen (Theorie des Gesellschaftsvertrags) und dass das individuelle Streben nach Glück im Zentrum jeder menschengerechten Ethik stehen sollte (eine Vorwegnahme der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung). 

Die wichtigste Quelle für die epikureische Philosophie ist zweifellos das Werk Über die Natur der Dinge (De rerum natura) des römischen Philosophen und Dichters Titus Lucretius Carus, genannt Lukrez (etwa 97–53 v. u. Z.), das die Grundzüge des Epikureismus aus der Sicht eines begeisterten Anhängers wiedergibt. 

Im Zentrum von Epikurs diesseitiger, hedonistischer Philosophie stand die Vermehrung von Lust und die Vermeidung von Unlust, was der christlichen »Kreuzestheologie« diametral entgegenstand, die (in der Nachfolge Christi) das Leid auf Erden geradezu verherrlichte, glaubte man doch, das »irdische Jammertal« demütig ertragen zu müssen, um der »ewigen Wonnen des Himmels« teilhaftig zu werden. Aus Sicht der christlichen Lehre war Epikurs Philosophie der Inbegriff »heidnischer Ketzerei«. Und so wurden seine Schriften entweder vernichtet oder dem Zerfall überlassen, was auch mit den Werken anderer Autoren geschah, die nicht ins religiöse Weltbild passten.

Entgegen den damaligen Gepflogenheiten ermöglichte Epikur nicht nur »freien Männern« (also den Athener Bürgern) den Zugang zu seiner Schule, sondern auch Frauen und Sklaven – ein veritabler Skandal, selbst für die (im geschichtlichen Vergleich) bemerkenswert offene Athener Gesellschaft. Wie aber konnte sich eine Denkschule etablieren, die in einem solch eklatanten Widerspruch zu den Leitideen ihrer Zeit stand? Warum musste Epikur nicht das traurige Schicksal des Sokrates (469–399 v. u. Z.) erleiden, der wenige Jahrzehnte vor Epikurs Geburt als »Verführer der Jugend« gebrandmarkt und zum Tode verurteilt wurde? Warum blieb Epikur, dessen Theorien weit unorthodoxer waren als die des Sokrates, bis zum Ende seiner Tage unbehelligt? Der Grund dafür ist sicherlich, dass Epikur – im Unterschied zu vielen anderen Philosophen – die Öffentlichkeit mied. Seinen Anhängern gab er den Rat: »Lebe im Verborgenen!« Wenn sie den Weg zum Glück finden wollten, sollten sie sich von der Politik, den Machthabern und überhaupt von der großen Masse der Menschen fernhalten. Man hat den Epikureern aus diesem Grund oft »Eskapismus« und einen »Mangel an politischem Verantwortungsbewusstsein« vorgeworfen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass ihr Rückzug aus der Gesellschaft eine politisch weise Entscheidung war. Denn unter den sozioökonomischen Bedingungen der Sklavenhaltergesellschaft bestand überhaupt keine Chance, dass sich der Epikureismus hätte durchsetzen können. Im Gegenteil: Hätten sich die Epikureer politisch betätigt, hätte man sie wohl schnell eliminiert. So aber konnte sich die epikureische Denkschule ein halbes Jahrtausend lang halten – und zwar in
einer Kontinuität, die es in keiner anderen philosophischen Tradition gegeben hat. 

Fernab der politischen Weltbühne inspirierte Epikurs Lehre berühmte Dichter wie Horaz (65–8 v. u. Z) und nahm so unterschwellig Einfluss auf die Gesellschaft. Durch Thomas
Jefferson (1743–1826), der von dem epikureischen Lehrgedicht De rerum natura nicht nur fünf lateinische Ausgaben, sondern zusätzlich englische, italienische und französische
Übersetzungen besaß, fand Epikurs Lehre schließlich sogar Eingang in eines der wichtigsten politischen Dokumente der Menschheitsgeschichte, nämlich die amerikanische
Unabhängigkeitserklärung von 1776 – ein bemerkenswerter Erfolg für eine angeblich völlig »unpolitische« Philosophie.

In der griechischen Hafenstadt Lampsakos  gründet er im Alter von 32 Jahren eine eigene philosophische Schule, mit der er um das Jahr 306 nach Athen umzieht.
Offenbar hat er schon zu dieser Zeit zahlreiche Unterstützer gefunden. Denn Epikur erwirbt für 80 Minen (etwa 3,5 Kilogramm Silber) einen großen Garten außerhalb der
Stadtmauern von Athen, um dort mit seinen Anhängern (angeblich rund 200 Menschen) ohne persönliche Besitztümer zusammenzuleben. Der berühmte »Garten des Epikur« ist
gewissermaßen ein antiker Vorläufer des Kibbuz. Nicht wenige Menschen reisen aus großer Ferne an, um Teil dieser Kommune zu werden. Was ist der Grund dafür? Was zieht sie so magisch an? Ist Epikur eine Art »Sektenführer«, ein »Guru«, vergleichbar mit Bhagwan Shree Rajneesh (1931–1990), später Osho genannt, der im 20. Jahrhundert Heerscharen von Sinnsuchern nach Pune (Poona) lockt?

Tatsächlich bietet Epikurs Philosophie eine Art »Erlösungslehre« an. Allerdings kommt diese Erlösungslehre ohne jegliche Form von Wunderglauben aus. »Seelenfrieden«
entsteht nach Epikur nämlich gerade dadurch, dass man die Angst vor dem Unbekannten überwindet und die realen Zusammenhänge in der Natur begreift (soweit dies im dritten vorchristlichen Jahrhundert möglich ist). Im Zentrum der epikureischen Naturphilosophie steht dabei die Lehre vom Atom, die Epikur von seinem Vorgänger Demokrit übernimmt und weiter ausbaut. Natürlich ist diese antike Atomtheorie nicht identisch mit den wissenschaftlichen Konzepten des 20. Jahrhunderts, aber es gibt bemerkenswerte Parallelen: So lehren Demokrit und Epikur, dass die Welt überwiegend aus leerem Raum und winzigen, für das Auge nicht wahrnehmbaren Atomen besteht, aus deren Verbindungen alle erdenklichen Formen von Materie hervorgehen, wobei die Bewegung der Atome für das ständige Werden und Vergehen der Körper im Universum verantwortlich ist. Wie Demokrit ist auch Epikur überzeugt, dass alle Ereignisse im Kosmos ursächlich bestimmt sind (»Von nichts kommt nichts« – oder wie es bei Lukrez heißt: »Nichts kann je aus dem Nichts entstehen«). Allerdings meint Epikur (im Unterschied zu Demokrit), dass es immer wieder zu kleineren Abweichungen in den Bahnen der Atome kommt, sodass das Geschehen im Universum nicht vollständig determiniert (also kausal vorherbestimmt) ist, sondern dem Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit unterliegt. Mithilfe dieser Konstruktion kann Epikur nicht nur gegen fatalistische Vorstellungen argumentieren, die jegliche menschliche Freiheit untergraben (da angeblich »alles vorbestimmt ist«), sondern auch die Entstehung qualitativ neuer Formen im Kosmos erklären. In De rerum natura heißt es dazu: »Nichts bleibt immer sich gleich: es wechselt und wandelt sich alles.« 

Die epikureische Philosophie zeichnet ein sehr realistisches Bild vom Leben auf der Erde. Sie beschönigt nichts, nicht einmal den absehbaren Untergang der Erde mit all ihren Bewohnern – dennoch gilt Epikurs Lehre als eine »Philosophie des Glücks« beziehungsweise als eine »Philosophie der Freude«. Wie passt das zusammen? Nun, Epikur ist überzeugt, dass man nur dann zu Seelenfrieden gelangen kann, wenn man sich der Realität stellt, statt vor ihr zu flüchten. Ein wenig erinnert sein Ansatz an heutige Konfrontationstherapien zur Heilung von Angststörungen: Da die Vermeidung eines angstbesetzten Reizes (etwa der Anblick von Spinnen) zu einer Verstärkung der Angst
führt, konfrontieren Therapeuten ihre Patientinnen und Patienten mit ebendiesen Reizen, was tatsächlich oft zu einer Überwindung der Phobie führt.
Ganz ähnlich geht auch Epikur vor: Er zeigt auf, dass die Welt gar nicht so schrecklich ist, wenn man sich mit ihren Schrecken in vernünftiger Weise auseinandersetzt. Viele Ängste, die Menschen plagen, sind nämlich unbegründet, wie Epikur darlegt. Seinen Anhänger*innen gibt er dabei »vier Heilsätze« an die Hand, mit deren Hilfe sie ihre Ängste jederzeit bekämpfen können. Diese Heilsätze, die jeder Epikureer im Schlaf aufsagen kann, lauten:

  • Vor der Gottheit brauchen wir keine Angst haben.
  • Der Tod bedeutet Empfindungslosigkeit. 
  • Das Gute ist leicht zu beschaffen.
  • Das Schlimme ist leicht zu ertragen.

In den 35 Jahren, in denen Epikur seine »Hippiekommune« im Athener Garten leitet, treten keinerlei Zwischenfälle, die berichtenswert wären. Auch noch nach seinem Tod wird sich die epikureische Gemeinde durch eine außerordentliche Harmonie auszeichnen. In den knapp 500 Jahren ihres Bestehens kommt es niemals zu scharfen Auseinandersetzungen, Abspaltungen oder Flügelkämpfen – eine einmalige Erscheinung in der Philosophiegeschichte. 
Epikur lebt allerdings nicht nur, er stirbt auch im Einklang mit seiner Lehre: Als er das Alter von 70 Jahren erreicht, wird er infolge von Nierensteinen von unerträglichen Schmerzen heimgesucht. An seinem Todestag schreibt er einen Brief an seinen Schüler Idomeneus, in dem es heißt, dass »an diesem
wahrhaft glücklichen Tag meines Lebens, der mein letzter ist«, die »Schmerzen durch Harnzwang« eine solche Stärke erreicht hätten, »dass sie sich nicht mehr steigern können«. Doch all diese Schmerzen würden aufgewogen durch »die Freude meines Herzens an die Unterredungen, die wir miteinander geführt haben«. Epikur trägt Idomeneus noch auf, für die Kinder seines Schülers Metrodoros zu sorgen, der sieben Jahre zuvor gestorben war. Dann lässt er sich schweren, unverdünnten Wein reichen, setzt sich in eine mit warmem Wasser gefüllte Wanne und schneidet sich die Pulsadern auf. Es handelt sich hierbei um den wohl ersten dokumentierten »Freitod« der Geschichte  – nicht zu  verwechseln mit den unfreiwilligen Suiziden, zu denen Epikurs Philosophiekollegen Sokrates und Seneca (1 v. u. Z.– 65 n. u. Z.) vom attischen Gericht beziehungsweise von Kaiser
Nero gezwungen werden.

Im Hinblick auf die Bewertung des Suizids gehen die großen philosophischen Schulen Athens auseinander: Während Platoniker und Aristoteliker ihn moralisch verurteilen (wie
später auch das Christentum), bewerten ihn Epikureer und Stoiker eher positiv, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven: Für Epikur ist der Suizid ein individuelles Recht, mit dem sich Menschen unerträglichen Situationen (etwa schweren, unheilbaren Schmerzen) entziehen können, während Stoiker die Selbsttötung nicht bloß als Recht interpretieren, sondern mitunter sogar als eine moralische Pflicht, falls ein Weiterleben mit schädlichen Konsequenzen für die Gesellschaft verbunden wäre. Bei Epikur heißt es ganz individualistisch: »Wie der Weise bei der Speise nicht die größere Menge, sondern das Wohlschmeckendste vorzieht, so will er sich nicht eines möglichst langen, sondern eines möglichst angenehmen Lebens erfreuen.« Da für freie Menschen kein Zwang bestehe, »unter Zwang zu leben«,  habe jeder Mensch die Freiheit, aus dem Leben zu scheiden, wenn er »gründlich mit sich zu Rate gegangen ist«. Im Unterschied dazu heißt es bei Seneca, einem der Hauptvertreter der stoischen Tradition: »Daher lebt der Weise nicht, solange er kann, sondern solange die Pflicht es erfordert. Früher oder später zu sterben ist ohne Belang; von Belang ist allein, ob du tadellos oder schimpflich stirbst. Tadellos
aber sterben heißt, der Gefahr entgehen, schlecht zu leben.« Obgleich es zwischen der epikureischen und der stoischen Position Gemeinsamkeiten gibt, hätte Epikur eine solche
Formulierung niemals unterschrieben. Denn im Unterschied zu den Stoikern lehnt der griechische Freigeist jede Vereinnahmung des Individuums durch die Gesellschaft ab – und eben dies macht ihn zu einem der wichtigsten Vordenker des demokratischen Rechtsstaats. 

Keine Freude ist an sich ein Übel; doch das, was gewisse Freuden erzeugt, bringt vielerlei Beschwerden mit sich, die die Freuden um das Vielfache übersteigen.« Man müsse seine Begierden jederzeit hinterfragen: »Was wird mir geschehen, wenn erfüllt wird, was ich begehre, und was, wenn es nicht erfüllt wird?« Entgegen dem Vorurteil, der hedonistische Lebensstil laufe auf wilde Verschwendungssucht hinaus, stellt Epikur die Tugend der Selbstgenügsamkeit in den Mittelpunkt seiner philosophischen Weisheitslehre. Selbstgenügsamkeit sei »der größte Reichtum« , den ein Mensch besitzen könne. Denn es sei besser, »auf Spreu zu liegen und guten Mutes zu sein, als ohne Seelenfrieden auf goldenem Ruhebett zu liegen und an reich besetzter Tafel zu speisen«. Damit verbindet Epikur keine Aufforderung zur Askese. Es geht ihm keineswegs darum, sich »nur mit schlichten und billigen Speisen zu ernähren«, sondern »imstande zu sein«, sich im Notfall auch »damit zufrieden zu geben«. 

Der Tod bedeutet Empfindungslosigkeit.

Warum bedeutet der Tod »Empfindungslosigkeit«? Nun, da die »Seele« ein Teil des aus Atomen zusammengesetzten Körpers ist, geht das biologische Ende des Körpers notwendigerweise mit dem Ende aller Gedanken und Empfindungen einher. Wenn aber der Tod »Empfindungslosigkeit« bedeutet, ist er kein Übel, das wir in irgendeiner Weise erleiden könnten. Epikurs Argumentation ist schlüssig und leicht nachzuvollziehen: Solange man etwas erleidet, ist man nicht tot, sobald man aber tot ist, erleidet man nichts mehr. Folglich ist das angeblich »schauervollste Übel«, der Tod, »für uns ein Nichts«, wie Epikur formuliert: »Wenn wir da sind, ist der Tod nicht da, aber wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden noch die Gestorbenen an; für die einen ist ja er nicht vorhanden, die anderen sind aber für ihn nicht mehr vorhanden.« Ebenso wenig, wie es uns bekümmern sollte, dass wir vor unserer Zeugung noch nicht existiert haben, sollte es uns ängstigen, dass wir nach unserem Tod nicht mehr existieren werden. Statt uns mit törichten Ängsten zu belasten, sollten wir uns darauf konzentrieren, die kurze Zeit, die uns gegeben ist, sinnvoll zu nutzen. 

Der römische Dichter Horaz (65–8 v. u. Z.) wird diese Haltung 200 Jahre nach Epikur zu dem berühmten epikureischen Motto Carpe diem (Pflücke den Tag!) verdichten. Carpe diem begegnet uns heute in unzähligen Lifestyle-Produkten, Wellnesszentren und esoterischen Ratgebern, was der ursprünglichen Bedeutung des Mottos jedoch völlig entgegensteht. Denn aus der Philosophie  des Carpe diem lassen sich vier zentrale Aussagen ableiten, die in ihrer radikalen Diesseitigkeit jede Form von Esoterik
ausschließen:
Aussage 1: Weil das Leben endlich ist, ist es unendlich kostbar. Mit der epikureischen Absage ans Jenseits steigert sich also der Wert des Diesseits. Umgekehrt gilt: Je stärker das religiöse Jenseits gewichtet wird, desto weniger Wert kommt unserer irdischen Existenz zu. Würden wir davon ausgehen, ewig zu leben, so wären die 80 Jahre, die wir auf Erden verbringen, nicht sonderlich von Belang (weshalb sich religiöse Fundamentalisten auch nicht allzu schwer damit tun, sich und andere in die Luft zu sprengen).
Aussage 2: Ein sinnvolles Leben ist auch in einem »sinnleeren Kosmos« möglich. Es muss uns nicht belasten, dass das Universum keinem »höheren Plan« folgt, sondern auf dem
blinden Walten von Zufall und Notwendigkeit beruht. Der Sinn, den wir unserem Leben geben, setzt keineswegs voraus, dass es andere Wesen gibt, die unserer Existenz ebenfalls Bedeutung zuweisen. So ist es den epikureischen Göttern völlig egal, ob wir Freude oder Leid erfahren, uns selbst hingegen kann dies nicht egal sein.
Aussage 3: Sinn erwächst aus Sinnlichkeit – ohne die sinnliche Wahrnehmung von Wohl und Wehe, Lust und Leid gäbe es keinen Sinn.  Hätten wir nicht die Fähigkeit zur sinnlichen Deutung der Welt, wäre unsere eigene Existenz für uns sinn- und bedeutungslos, sie würde uns ebenso wenig interessieren, wie es einen Kühlschrank, Staubsauger oder Schachcomputer interessiert, ob er noch funktioniert oder schon morgen entsorgt wird.
Aussage 4: Mit dem Ende der Sinnlichkeit (infolge des Todes) geht ein Ende des Sinns einher. Die Endlichkeit unserer Sinnkonstruktionen entwertet diese allerdings nicht – ebenso wenig, wie das Leben durch seine Vergänglichkeit entwertet wird (siehe Aussage 1). Auch wenn irgendwann jede Erinnerung daran verloren gehen wird, wer wir Menschen waren und was wir taten, ist es für uns keineswegs bedeutungslos, wer wir heute sind und was wir tun. Jede Bedeutung hat ihre Zeit.

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