Die Vorstellungen, wie Menschen die Zeit gliedern und ihre Komponenten bewerten, sind nicht «biologisch» oder «anthropologisch» festgelegt, sondern verändern sich selber im Laufe der Zeit. Man kann historisch verschiedene «Zeitregeln» unterscheiden. Das sind kulturelle Vorannahmen und Werte, die menschliches Handeln, Fühlen und Deuten steuern, den Individuen aber (meist) nicht direkt bewusst sind. So entstand «unser Schema» aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im europäischen 17.. Jahrhundert .
Neben diesen kulturellen Schemata der Zeitwahrnehmung gibt es die individuellen. Jeder Mensch hat seine eigene Art und Weise, mit seiner Vergangenheit umzugehen und Gegenwart und Zukunft zu bewerten. Auch die werden meist nicht reflektiert. Auch wenn die Gegenwart düster erscheint und die Zukunft schwarz gemalt wird, kann man als Individuum sich Vorstellungen über seine Zukunft machen, sich Ziele setzen - das braucht es, damit das eigene Leben einen Sinn erhält.
Zeit (lateinische Grammatik) Zeitsystem -> wurde auch ins Deutsche übernommen.
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Plusquamperfekt
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Imperfekt
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Perfekt
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Praesens
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Futur (I)
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Futur (11)
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«Vorvergangenheit»
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«Vergangenheit»
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«Vorgegenwart»
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«Gegenwart»
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«Zukunft»
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«Vorzukunft»
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Handlungsfolge in
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nicht
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(unmittelbar)
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Aktualität,
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Handlungen, die
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(Futurum exactum)
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der Vergangenheit
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abgeschlossene
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abgeschlossene
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unmittelbar
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erst stattfinden
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Handlungen, die in
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Handlungen in der
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Handlungen in der
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wahrgenommene
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werden oder
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der Zukunft
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Vergangenheit;
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Vergangenheit;
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Handlungen;
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stattfinden sollen
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abgeschlossen sind,
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«Erzählzeit»
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Das CH-Deutsche zB
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«h istorisch es
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bevor andere
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kennt nur diese
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Präsens» in
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zukünftige
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Vergangenheitsform
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Erzählprosa
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Handlungen
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stattfinden;
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Prophezeihungen
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Apokalypse
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z.B. CH Mundart kennt nur das Perfekt als Vergangenheitsform ! Die russische Sprache hat kein Zeitsystem wie oben beschrieben, da gibt es nur eine Vergangenheit wie im Ch Mundart!
Die Zeitvorstellung der Moderne
Der Begriff «Moderne» ist notorisch unscharf. Allgemein versteht man unter «Moderne» die Zeit nach ca. 1750 bis offiziell 1979/1980, als der französische Philosoph Francois Lyotard (1924-1998) das «Ende der grossen Erzählungen» verkündete. Ob wirklich die «Postmoderne» schon begonnen hat, ist allerdings strittig.
Zu den Errungenschaften der Moderne gehören u.a. Säkularisierung, Aufklärung (das freie, autonome Individuum, Menschenrechte etc.) und (Natur-)Wissenschaft (Industrie).
Newton definierte «Zeit» in den «Principia»: «Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfliesst an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig, und ohne Beziehung auf irgendeinen äusseren Gegenstand.» Das blieb bis zu Einsteins Relativitätstheorie die wissenschaftlich gültige Vorstellung von «Zeit». (Menschen fühlen sie manchmal anders - besonders, wenn man verliebt ist oder auf einer heissen Herdplatte sitzt ... ) Die Moderne hat sie übernommen. Zeit fliesst kontinuierlich und gleichmässig und irreversibel durch alle Ereignisse. Zeit ist damit mess- und vergleichbar. Die Vergangenheit kann einer wissenschaftlichen Bearbeitung unterworfen werden (der Singular «Geschichte» entstand - wie viele andere abstrakte Begriffe, so auch «Zukunft» für «Kommendes» oder «Zukünftiges» - in dieser Epoche). Vergangenheit und Zukunft sind prinzipiell vergleichbar. Das ermöglicht den Begriff «Fortschritt». Und der ist unabwendbar positiv konnotiert: ein Fortschreiten «zum Besseren».
Die Moderne inszenierte sich auch als «Anfang». Damit verbunden war die Aufwertung von Zukunft und Gegenwart gegenüber der Vergangenheit. Wie lang dauert «die Gegenwart»? Bisher als recht flüchtigen Zwischenraum (hier und jetzt») zwischen Erfahrungs- und Erwartungsraum verstanden (gelebte Vergangenheit und antizipierte Zukunft) erhielt sie eine neue Bedeutung, weil man in ihr die Dynamik der Entwicklung verortete. Nicht nur die Französische Revolution musste eigentlich immer weitergehen und weiter gehen. Die Gegenwart «treibt» die Zukunft aus sich hervor.
G.w.F. Hegel (1770-1831) stellte die Weltgeschichte unter die Formel: «Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit - ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.» In der Weltgeschichte verwirklichen sich der Wille und die Zwecke der Menschen. Und das passiert in der Natur und der Gesellschaft (anderer Menschen). So erklärt sich der technologische Fortschritt (gegenüber der Natur) und die gesellschaftliche Entwicklung (hin zur liberalen Republik/Demokratie).
Die Zukunft erhält ebenfalls eine neue Deutung. Bisher war sie - für die «grosse Sicht» - der Raum, wo alles einfach-weiter geht (Wandel und Änderung sah.man in den herrschenden Schichten nicht gerne), und für die Religion der Raum, wo sich die Heilsgeschichte entfaltet. Bis wir schliesslich alle erlöst würden oder wiederauferstehen oder im Jüngsten Gericht gerichtet würden. Das war oft mit apokalyptischen Vorstellungen verbunden: der Endkampf (Armagghedon) zwischen den bösen Mächten und den Guten.
Jetzt wird die Zukunft zum Planungs- und Projektraum menschlichen Handelns. Dazu trug auch die Entwicklung der Geld- und Kreditwirtschaft bei. Kredite werden zu Investitionen (nicht nur für den Ankauf neuer Waren, die man wieder verkaufen wollte). Die Zukunft wird freigegeben - für eigene Projekte oder Spekulation. Risiko- und Wahrscheinlichkeitsrechnung kommen auf. Zukunft wird frei für Transformation und Umgestaltung. Damit hat Karl Marx (1818-1883) in der Nachfolge von Hegel gespielt: Er sah in der Geschichte eine Abfolge von Zuständen, die an ihren «Widersprüchen» scheitern. So diagnostizierte er auch in der bürgerlieh-kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschafts- Formation, die sich im 19. Jahrhundert ausbildete, «Widersprüche» (u.a. die Wachstumsproblematik, die sich darin zeige, dass die Rentabilität des Kapitals zunehmend kleiner und die Dynamik des Kapitalismus somit schwächer werde), die schliesslich zur Ablösung des Systems führen würden. Die grundlegende Idee der Moderne, dass sich der Mensch in oder gegenüber der Natur «verwirklichen» und sich ihrer «bemächtigen» müsse, führte zu ihrer Ausplünderung und Zerstörung.
Man könnte sagen: Wir leben in einer sich immer mehr ausdehnenden Gegenwart. Die Zukunft scheint nicht mehr der Raum der Möglichkeiten, sondern wird zunehmend schwieriger fassbar, das heisst: zunehmend unprognostizierbar und deshalb bedrohlich. Der Verlust der Zukunftsgewissheit sei der Preis, den wir für den historisch einzigartigen Wohlstandsgewinn bezahlen müssten, konstatiert der Philosoph Hermann Lübbe (geb. 1926). Wir fahren in der Geisterbahn.
Literatur: Aleida Assman: Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne. Hanser München 2013. - Oder wer es deftiger mag: Eva Horn: Zukunft als Katastrophe. Fischer Wissenschaft Frankfurt a/M 2014 .
Video auf You Tube über die Zeit aus Sicht der Physik
Video SRF Sternstunde Philosophie "Steht die Zukunft schon fest?"
Fazit: Die Frage "Was ist Zeit?" beschäftigt Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrhunderten und hat keine einfache Antwort. Es gibt verschiedene Ansätze, Zeit zu definieren:
- Physikalische Sicht: In der Physik wird Zeit oft als die vierte Dimension des Raumes angesehen. Man spricht dann von der Raumzeit (Raum-Zeit-Kontinuum). Zeit wird in der Physik üblicherweise in Sekunden gemessen und kann mit Uhren verfolgt werden.
- Wahrnehmungspsychologische Sicht: Aus psychologischer Sicht ist Zeit eher subjektiv und hängt von unserer Wahrnehmung, unseren Gedanken und Erfahrungen ab. Je nachdem, ob wir uns langweilen oder in spannenden Tätigkeiten vertieft sind, kann die Zeit langsamer oder schneller vergehen.
- Philosophische Sicht: In der Philosophie gibt es verschiedene Theorien über die Zeit. Einige Philosophen sehen Zeit als etwas Absolutes, das unabhängig von der Existenz von Materie oder Bewusstsein existiert. Andere sehen Zeit als etwas Relatives, das aus der Veränderung von Zuständen entsteht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine allgemein gültige Definition von Zeit gibt. Es ist ein komplexes Konzept, das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann.